Das MUSEUM BIBERACH zeigt noch bis 27. März 2022 die Ausstellung Ernst Ludwig Kirchner – Tierleben in den Davoser Alpen und nimmt dabei Szenen aus dem Alpleben im Werk des expressionistischen Künstlers genauer in den Blick.
Nach ersten gesundheitsbedingten Aufenthalten im Schweizer Kurort Davos 1917 lässt sich Kirchner im darauffolgenden Jahr, ab Herbst 1918, fest dort nieder. Fasziniert und oft auch überwältigt von der Bergwelt der Schweizer Alpen, setzte der Künstler die alpinen Landschaften in vielen Werken malerisch und zeichnerisch um. Die Ausstellung befasst sich gezielt mit dem unmittelbaren Umfeld und Geschehen, das sich dem Künstler rund um seine Wohn- und Aufenthaltsorte bietet. Ab September 1918 bewohnt Kirchner das Haus In den Lärchen in Davos Frauenkirch, 1923 zieht er in das Haus auf dem Wildboden um. Einige Sommermonate verbringt er auf der Stafelalp, wie auch bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Davos im Jahr 1917.
Kirchner hält das Leben und den Alltag der Bergbauern sowie die Tiere, die bei der bäuerlichen Arbeit oftmals eine zentrale Rolle spielen, in seinem künstlerischen Werk fest. Eine fast porträthafte Darstellung malt Kirchner von einer Kuh auf einem Berghang, im Hintergrund ist eine Bäuerin mit zwei weiteren Kühen zu erkennen. Das Gemälde Die weiße Kuh von 1920 ist eine Leihgabe der HAMBURGER KUNSTHALLE und kann nun in der Biberacher Ausstellung zum ersten Mal wieder in originalgetreuer Rahmung besichtigt werden.
Das Gemälde wechselte im Laufe seiner Geschichte mehrmals seine Besitzer*innen. 1949 wurde es von der HAMBURGER KUNSTHALLE angekauft, wo es sich noch heute in der Sammlung Klassische Moderne befindet. Anhand eines historischen Fotos von 1926, das in der Galerie der Moderne in den KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ aufgenommen wurde und das Gemälde in seiner ursprünglichen Rahmung zeigt, konnte der originale Rahmen des Bildes von WERNER MURRER RAHMEN rekonstruiert werden.
Die Galerie der Moderne in den Kunstsammlungen Chemnitz
Die KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ wurden 1920 unter der Initiative von Friedrich Schreiber-Weigand gegründet.1 Es standen zunächst jedoch keine eigenen Ausstellungsräume zur Verfügung, sie wurden mit dem bürgerlichen Verein KUNSTHÜTTE ZU CHEMNITZ geteilt. Erst ab 1926 bekamen die Kunstsammlungen ihre eigenen Räumlichkeiten. Einen Teil davon bildete die Galerie der Moderne, die als gesonderter Ausstellungsbereich für zeitgenössische Kunst und Neuerwerbungen im 3. Obergeschoss der Kunstsammlungen eingerichtet wurde. Aufgrund von Kriegszerstörung existieren die ursprünglichen Räumlichkeiten heute nur noch zum Teil. Glücklicherweise sind einzelne Ausstellungsräume in sehr guter fotografischer Qualität dokumentiert und in dieser Form erhalten geblieben.
Zum 100-jährigen Bestehen der KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ 2020 wurde die Galerie der Moderne anhand von alten Grundrissen und den historischen Raumaufnahmen virtuell rekonstruiert. Um die damaligen Exponate in der virtuellen Rekonstruktion möglichst authentisch zu präsentieren, recherchierte WERNER MURRER RAHMEN zur historisch richtigen Rahmung der Gemälde. Hierfür wurden uns von den KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ die historischen Fotografien der Ausstellungsräume zur Verfügung gestellt.
Die Fotografie zeigt eine Installationsansicht von 1926 in den historischen Ausstellungsräumen der Galerie der Moderne in den KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ, an der Wand rechts ist Kirchners Gemälde Die weiße Kuh original gerahmt zu sehen.
Die weiße Kuh wurde 1925 von den KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ direkt von Kirchner erworben.2 1937 unter dem NS-Regime als „entartet“ beschlagnahmt, kam das Gemälde zunächst in das Sammeldepot in Berlin Kreuzberg, anschließend ins Depot von Schloss Niederschönhausen, Berlin. 1941 ist es in der Berliner Galerie Ferdinand Möller verzeichnet. 1949 wurde das Gemälde schließlich aus der Sammlung Katharina Troeger im Schwarzwald von der HAMBURGER KUNSTHALLE erworben. Auf welcher dieser Stationen der originale Künstlerrahmen von Kirchner verloren ging, ist nicht bekannt. Umso schöner, dass Die weiße Kuh nun durch die Initiative des Teams der HAMBURGER KUNSTHALLE wieder so gerahmt werden konnte, wie es vom Künstler selbst gedacht war.
Nach der historischen Vorlage hat das Gemälde einen flachen Profilrahmen mit Stufe an der Innenkante der Rahmenleisten bekommen. Dieser Rahmentypus ist um 1920 sowie während der 1920er-Jahre ein von Kirchner häufig verwendetes Profil. Anhand vergleichbarer Gemälde mit originalen Künstlerrahmen Kirchners konnte auch die Goldbronzefassung rekonstruiert werden. Die flächenhaft gestalteten Farbfelder des Bildes – helle Pastelltöne beim zentralen Motiv sowie kräftige Grün-, Gelb und Blautöne in der Umgebung – entsprechen formal dem flachen Profil des Rahmens. Kirchners Verständnis einer Einheit von Bild und Rahmen ist hier spürbar. Erfahren Sie es selbst bei einem Besuch im MUSEUM BIBERACH in der Ausstellung Ernst Ludwig Kirchner – Tierleben in den Davoser Alpen mit Kirchners Tiermotiven!
Marianne Saal, Kunsthistorikerin M. A.
- Herzlichen Dank an Johannes Sange für die Informationen zur Galerie der Modere. Er leitete als wissenschaftlicher Volontär in den KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ das Projekt der »virtuellen Rekonstruktion der Galerie der Moderne«.
- Angaben zur Provenienz des Gemäldes: Hamburger Kunsthalle, Sammlung Online https://online-sammlung.hamburger-kunsthalle.de/de/objekt/HK-2869/die-weisse-kuh?term=Kirchner%20die%20wei%C3%9Fe%20Kuh&context=default&position=0
Lesen Sie zum Thema auch unseren Blogbeitrag „Richtige Rahmen“ für die Galerie der Moderne | KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ
Ein absolutes Highlight können Sie bei Ihrem Besuch in MUSEUM BIBERACH mit Kirchners Werk Der Geiger Häusermann I erleben. Das Gemälde befindet sich noch im originalen Künstlerrahmen, den Kirchner bei einer späteren Überarbeitung des Bildes farbig mitgestaltete. Achten Sie besonders auf die Malspuren an der Rahmeninnenkante des bereits gerahmten Gemäldes.
Fotos: MUSEUM BIBERACH
Arbeitsfotos vom Rahmen für Ernst Ludwig Kirchner Die Weiße Kuh: