Ausstellung
13.04.2022
Ausstellungsansicht: „Markus Ebner. Zuneigung (Inclination/Affection)", Galerie Jacky Strenz, Frankfurt am Main 

Appropriation Art 

Alles ist schon immer da. Alles beeinflusst sich gegenseitig. Es gibt kein ursprüngliches Motiv, Material und keine originäre Form. Es gibt nur Wiederholungen und Rekonstruktion dieser Elemente. Künstler*innen bedienen sich dieses kollektiven Bewusstseins – bewusst oder unbewusst – und erschaffen mit ihren Arbeiten einen individuellen Ausdruck davon. 
Ob Variation, Wiederholung oder Zitat – sich auf andere Werke zu beziehen, ist eine schon immer bekannte künstlerische Praxis. Wurde die Anlehnung an kunsthistorische Vorbilder in der klassischen Moderne noch als Quelle der Inspiration verstanden (die manchmal offen ausgesprochen, manchmal geleugnet wurde), erhob die New Yorker Appropriation Art der 80er Jahre die Wiederholung zum Prinzip und unterwanderte damit den westlichen Originalitäts- und Schöpferkult. Viel radikaler noch als es zuvor Marcel Duchamp mit seinen Readymades tat. Die Kopie eines (berühmten) Kunstwerkes war nun Konzept und wurde als neue, revolutionäre Kunstform ausgerufen. Mit der subversiven Strategie wurde radikale Kritik an (männlicher) Autorschaft, am Kunstbegriff, Kunstschaffen und dem Kunstbetrieb geübt. Seit den späten 60er Jahren war der Autor ohnehin bereits tot. Gestorben und begraben mit den Texten Michel Foucaults und Roland Barthes`. 

Die amerikanische Künstlerin Sherrie Levine zählt zu den frühen und zentralen Vertreterinnen der Appropriation Art. Sie gehörte zu der New Yorker Künstler*innengruppe für deren neue Kunstrichtung damals der Begriff Appropriation Art geprägt wurde. In ihrer mittlerweile ikonischen Arbeit After Walker Evans, 1981, fotografierte sie die in Zeitschriften oder Büchern abgedruckten Fotografien des berühmten Künstlers Walker Evans. Sie erstellte keine Collage aus einzelnen Bildelementen, sondern reproduzierte und präsentierte die einzelne Evansche Fotografie als Ganzes. Ihre Vorgehensweise gilt als eine der ersten und direktesten Strategien der unmittelbaren Bildaneignung. 

Im engeren Sinne ist der kunsthistorische Begriff Appropriation Art auf die oben erwähnte New Yorker Gruppe der 80er Jahre bezogen, die programmatische Wiederholung eines Kunstwerkes gab es jedoch schon früher: Allen voran ist hier Elaine Sturtevant zu nennen. Bereits 20 Jahre vor Sherrie Levine reproduzierte sie Kunstwerke eins zu eins und deklarierte sie als Originale, signierte sie mit ihrem Namen. Auch Sturtevant lebte in New York, war eng mit Pop Art-Künstlern wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol und Jasper Johns befreundet. In den 60er Jahren fing sie an, deren Werke zu kopieren. Andy Warhol stellte ihr sogar seine originalen Drucksiebe für ihre Serie Warhol Flowers zur Verfügung. Auf die Frage nach seiner Technik soll er einmal geantwortet haben: »Keine Ahnung, fragen Sie Elaine« . Auf geniale Weise verband Elaine Sturtevant Pop Art mit der damals gerade entstehenden Concept Art. Während Warhol die Suppendose zum Kunstobjekt machte, machte Sturtevant die Ikonen der Pop Art zum Kunstobjekt. Ihr Konzept lehnt sich an Duchamp an, ihr Readymade ist jedoch nicht mehr der Alltagsgegenstand – sie erklärte das originale Kunstwerk von Warhol zum Readymade. Die Künstlerin war ihrer Zeit weit voraus, die damalige Kunstwelt noch nicht bereit für ihre Aneignungskunst, die poststrukturalistische Theorie um Foucault und Barthes gab es noch nicht bzw. wurde grade entwickelt.

Im Verlauf der Postmoderne wurde der Begriff zunehmend aufgeweicht und ausgeweitet. Typisch postmoderne Techniken wie Zitat, Collage, Fragment, Verweis und ihre unterschiedlichen Intentionen – vieles wurde unter dem Begriff der Appropriation Art subsumiert. 

Und heute? Es gibt wohl kaum eine Künstler*in, die noch nie etwas kopiert hätte. Wiederholen und Kopieren sind in unserer Zeit selbstverständliche künstlerische Strategien. Längst, spätestens mit der digitalen Revolution, zählen Copy & Paste zu den zentralen Kulturtechniken. 

 

  Installationsansicht: „Markus Ebner. Zuneigung (Inclination/Affection)“, Galerie Jacky Strenz, Frankfurt am Main

 

Markus Ebner und Günter Fruhtrunk: Strategien einer exklusiven Aneignung 

Strich für Strich, Linie um Linie – Markus Ebner malt die Gemälde des Münchner Künstlers Günter Fruhtrunk pinselstrichgenau nach. Seit gut 20 Jahren kopiert er die abstrakten Werke des bekannten deutschen Nachkriegskünstlers. Kopie um Kopie eignet er sich ausschließlich Fruhtrunks konkrete Kunst an: Seine Appropriation Art ist exklusiv seinem ehemaligen Lehrer gewidmet. Ebner, 1962 in Regensburg geboren, studierte in den 80er Jahren drei Semester in der Klasse Fruhtrunk an der Münchner Kunstakademie. Bis Günter Fruhtrunk 1982 in seinem Atelier Suizid begann. Knappe 20 Jahre später fing Markus Ebner an, sich seinem Lehrer künstlerisch anzunähern. Er recherchiert Fruhtrunks Arbeitsweise, seine verwendeten Materialien, Techniken und ergänzt sie mit seinem eigenen Wissen aus der Fruhtrunkklasse. Allein mit malerischen Mitteln erstellt er exakte Kopien, übernimmt Farben, Material und Maße bis in kleinste Detail. Original und Kopie sind kaum zu unterscheiden. Mit seinem Konzept der radikalen, direkten Aneignung knüpft Ebner an Elaine Sturtevant und die Appropriation Art der 80er Jahre an. Hinsichtlich der Autorschaft lässt auch Markus Ebner keine Zweifel offen: Er nummeriert Serien fortlaufend und signiert die Werke auf der Rückseite mit seinem Namen. Diese eindeutige Zuordnung bringt aber kaum eindeutige Antworten auf die Fragen um Urheberschaft und Original. Zudem potenzieren sich die Ungewissheiten, wenn Ebner sich selbst kopiert. Auch Fruhtrunk wiederholte sich oft, produzierte mehrere Versionen eines Motivs, die sich meist nur hinsichtlich der Bildgröße unterschieden. In seiner neuesten Werkserie Zuneigung, 2020/2021, kopiert Ebner eine Kopie Fruhtrunks, um dann wiederum von der kopierten Fruhtrunk-Kopie weitere Kopien mit Vinyl auf Leinen zu malen – eine unendliche Tautologie hinter der die Autorschaft langsam verschwindet. Günter Fruhtrunk stellte Zuneigung, eines seiner letzten Bilder, kurz vor seinem Suizid fertig. Es ist eine kleinere Version seiner Arbeit Bild, die ebenfalls 1982 entstand. Ebner kopierte Fruhtrunks Bild bereits 2017. Drei Jahre später malte er insgesamt zehn Kopien von Fruhtrunks Zuneigung.

 

  Künstlerrahmen, Detail: Markus Ebner „Zuneigung“, Galerie Jacky Strenz, Frankfurt am Main

 

Zuneigung – Künstlerrahmen von Günter Fruhtrunk und Markus Ebner

Die wenigsten zeitgenössischen Kunstwerke benötigen einen Rahmen – sie sind heute obsolet. Schon seit Beginn der 1950er Jahre verzichten viele Künstler*innen auf Rahmen. Sie befreiten sich in der Nachkriegszeit langsam von der tradierten Konvention, Bilder gerahmt zu präsentieren. Agnes Martin zum Beispiel rahmte ihre Arbeiten in den 1960er Jahren lediglich mit schmalen, weißen Holzleisten, die sie direkt am Spannrand des Bildes befestigte. Auch Rupprecht Geiger reduzierte den Rahmen auf dünne Randleisten, die er unmittelbar an das Bild nagelte. In den 60er Jahren rahmte er manche Arbeiten auch, der damaligen Zeit entsprechend, mit Leisten aus Alu oder Plexiglas. Gerhard Richter rahmte seine Werke zu dieser Zeit ebenfalls minimalistisch. Oder Arnulf Rainer: er rahmte mit rohen Aluleisten, ohne perfektes Finish. In den 70er und 80er Jahren präsentierten dann einige Künstler*innen ihre Werke auch ganz bewusst ohne Rahmen und tun es heute noch.
Ein ähnlich minimalistisches Rahmungskonzept verfolgte auch Günter Fruhtrunk. Laut Zeitzeugen betrachtete er die Rahmen als Bestandteil des Bildes, ein stimmiger Bildrand war ihm daher wichtig. Seine geometrischen Motive, die Gitterstrukturen und besonders die (diagonalen) Streifen, die bis an den Bildrand reichen, streben nach Entgrenzung. Ihre leuchtend grellen Farben drängen danach, sich über den Bildrand hinweg in den Raum hinein auszubreiten. Mit seinen reduzierten Künstlerrahmen unterstützt Fruhtrunk seine Motive und ihre rhythmische Ausdehnung im Raum. Wie seine Künstlerkolleg*innen brachte er (bzw. vermutlich seine Assistent*innen) die schmalen Holzleisten direkt am Bildrand an. Sie sind naturbelassen, weiß oder schwarz und an den Ecken auf Stoß gearbeitet, also ohne Gehrung miteinander verbunden. Häufig verwendete Fruhtrunk auch, wie z.B. Arnulf Rainer, Leisten aus nicht-eloxiertem Aluminium. Oftmals verzichtete er aber gänzlich auf eine Rahmung oder deutete sie nur an, erklärt Markus Ebner: »Viele Gemälde, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre entstanden sind, wurden mit schwarzem Textil- oder silbernem Gaffatape „gerahmt“.  Ein Beispiel für die Rahmung mit einem schwarzen Textilband ist die Arbeit Entladung II, 1981, oder für das silberne Gaffatape die Gemälde Bild, 1982, und Sinnenfundament, 1982.« 
Markus Ebners Einfühlungsvermögen in das Werk seines früheren Lehrers hört nicht am Bildrand auf: »Ich versuche den Arbeiten Fruhtrunks möglichst nahe zu kommen. Dazu gehören natürlich auch die Rahmen«, sagt der Wahl-Frankfurter. In einem malerisch aufwendigen Prozess kopiert er nicht nur dessen Motive, sondern baut auch seine Rahmen detailgetreu nach und befestigt sie à la Fruhtrunk am Spannrand. Für die Serie Zuneigung ließ Markus Ebner Aluminiumleisten anfertigen und rahmte damit jedes seiner zehn Gemälde selbst. Fruhtrunks Originalbild Zuneigung wurde vermutlich erst posthum mit einem Alurahmen eingefasst, es ist also keine echte Fruhtrunksche Rahmung. Die originale Rahmung holt Markus Ebner für ihn nach und vollendet seine Serie mit einem Künstlerrahmen: »Bei meiner Zuneigung hingegen verwende ich die „klassische Fruhtrunksche Rahmung“ mit nicht-eloxierten Aluminiumleisten, die direkt, ohne Gehrung, mit sichtbarer Schlitzschrauben-Befestigung an den Seiten angebracht sind«, erzählt der Künstler. Also alles wie bei Fruhtrunk: Bild und Rahmen ergeben eine perfekte, harmonische Einheit.
 
In Markus Ebners Werk mischen sich verschiedene Zeitebenen, diskursive Fragestellungen und Konzepte um Originalität und Autorschaft. Das Ergebnis ist ziemlich originell und zeigt, dass konkrete Kunst sehr zeitgenössisch sein kann. Aber was ist denn nun Kopie, was ist Original? Wir halten uns hier an den Refrain und gleichnamigen Song des Indie-Pop-Musikers und Autors Peter Licht: Alles was Du siehst, gehört Dir. Wir sehen ein betörendes Gesamtkunstwerk, eine gemeinsame Aura von Bild und Rahmen und verneigen uns vor Markus Ebners Zuneigung

 

Johanna Hänsch, Master of Arts 

 

 

Wir haben Markus Ebner in den Rahmungsfragen beraten und freuen uns, dass wir ihn bei der Entstehung der Serie Zuneigung unterstützen konnten.
 
Vier Werke der Serie Zuneigung sind aktuell in der Galerie JACKY STRENZ in Frankfurt am Main zu sehen. Die Ausstellung Markus Ebner. Zuneigung (Inclination/Affection) sollten Sie nicht verpassen – sie läuft noch bis 23. April 2022. 

 

 


Ausstellungskatalog „Markus Ebner: Zuneigung" (mit Beiträgen von Jürgen und Ute Habermas, Florian Illies, Kito Nedo, Astrid Fendt, Florian Ebner), d/e, Spector Books, Leipzig, 2022Zu der Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Markus Ebner: Zuneigung (mit Beiträgen von Jürgen und Ute Habermas, Florian Illies, Kito Nedo, Astrid Fendt, Florian Ebner), d/e, Spector Books, Leipzig, 2022.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ausstellungsansichten: Markus Ebner. Zuneigung (Inclination/Affection), Galerie JACKY STRENZ, Frankfurt am Main, 12. Februar bis 23. April 2022, Fotos: Wolfgang Günzel

 

 

 

Warum die meisten zeitgenössischen Kunstwerke keine Rahmen benötigen und wie Sie den richtigen Rahmen für Ihr Kunstwerk erkennen, erfahren Sie in Werner Murrers Plädoyer für die richtige Rahmung

 

 

 

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